Natur & Heilen Die Monatszeitschrift für gesundes Leben, Heft März 2021 Seite 66
Von Anne Devillard
Die Unvorhersehbarkeit des Lebens annehmen
Gerade jetzt, in Zeiten von Corona, in denen wir zutiefst beunruhigt sind und oftmals das Gefühl haben, der Boden wird uns unter den Füßen weggezogen, werden wir aufgefordert, unsere festgefahrenen Vorstellungen, wie das Leben zu sein hat, zu hinterfragen, ja sogar fallen zu lassen. „Das Leben ist ein Abenteuer. Es steckt voller Überraschungen, und es birgt auch Gefahren. Wir können unser Leben als Geschenk annehmen und uns über all das freuen, was es für uns bereithält“, sagt der bekannte Hirnforscher und Autor Gerald Hüther in seinem Buch „Wege aus der Angst. Über die Kunst, die Unvorhersehbarkeit des Lebens anzunehmen“ (Vandenhoeck & Ruprecht). Der Neurobiologe hat dieses Buch im Kontext der Panik geschrieben, die seit dem Beginn der Pandemie um das Coronavirus verbreitet wird. Er wollte eine Antwort auf die kollektive Angst finden, die zusätzlich von vielen Medien aufgegriffen und weiter geschürt wird. Im Zuge seiner Reflexion kam er zu dem Schluss, dass es nicht die Realität an sich ist, die uns Angst macht, sondern die Vorstellung, die wir von ihr haben. Im Gegensatz zu Tieren, die erst bei einer gefährlichen Situation Angst empfinden, reicht bei uns Menschen allein die Vorstellung einer gefährlichen Situation aus, um ein Gefühl der Angst zu entwickeln. Laut Hüther geht es nicht darum, die Angst zu bekämpfen, denn sie fungiert als Signal, damit wir uns nicht gefährden. Die Angst kann zu einem bestimmten Zeitpunkt begründet und richtig sein, wiederum in einer anderen Situation ein Hemmnis darstellen, weil die Umstände sich geändert haben. (…)
Wir stellen uns immer vor, wie das Leben zu sein hat, aber es bleibt bis zum Ende ein Abenteuer voller Unvorhersehbarkeiten. Anstatt reflexartig zu versuchen, die Kontrolle zu behalten, wenn etwas geschieht, das unseren Vorstellungen nicht entspricht, sollten wir die Angst annehmen und die Unsicherheit annehmen, die das Leben immanent in sich trägt. Indem wir uns mit dem Leben und dem Lebendigen verbinden, verschwindet die Angst vor der Angst. Dann können wir erkennen, dass das leben jeden Tag die Aufforderung für uns bereithält, lebendig zu bleiben.